TSG Reutlingen: Heroes sind Botschafter in eigener Sache
02. Oct 2020
Thomas Müller
Mit viel Enthusiasmus erzählt Martin Sowa von einer seiner letzten Aktionen. Mit einer Gruppe geistig Behinderter hatte der Leiter der Abteilung Inklusiv bei der TSG Reutlingen vor einiger Zeit eine Sportstunde im Isolde-Kurz-Gymnasium besucht, um ein inklusives Training durchzuführen. Anfänglich gab’s ein paar Berührungsängste. „Als dann aber ein Fußball ins Spiel kam, haben alle Beteiligten mit großer Begeisterung zusammen gekickt“, berichtet Sowa.
Unzählige solcher Beispiele hat der gelernte Sonderpädagoge Sowa erlebt. Seit mehr als 40 Jahren setzt er sich zum Ziel, „dass Menschen mit Beeinträchtigungen genauso selbstverständlich Sport treiben sollen wie andere auch.“ Aus dieser großen Leidenschaft, Menschen zusammenzubringen, ist Beachtliches hervorgegangen. Die TSG Reutlingen Inklusiv ist gegenwärtig mit 520 Mitgliedern die drittgrößte Abteilung des Großvereins mit insgesamt rund 4500 Mitgliedern.
Auch im Ehrenamt funktioniert die Inklusion
Sowas Ziel, das gemeinsame Sporttreiben zur Selbstverständlichkeit zu machen, ist erreicht. Und noch etwas mehr. Da die Sportler mit Beeinträchtigungen unaufgefordert im Verein als Helfer fungiert haben, hat er vor zwei Jahren das Projekt „HEROES“ ins Leben gerufen – „Heimstarke Ehrenamtliche Rocken Organisierten Ehrlichen Sport“. Zwölf Mitglieder mit Handicap im Alter zwischen 20 und 75 Jahren finden im Verein und in den Abteilungen ein Betätigungsfeld, das ihren Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen entspricht. Der 19-jährige René Sachse etwa wurde in der Abteilungsversammlung zum Jugendsprecher gewählt, Corinna Pflumm ist Co-Trainerin bei der Frauen-Fußball-Mannschaft, Roland Ganze und Peter Zaurtys leiten als Schiedsrichter Fußballspiele. „Indem sie etwas Normales machen, zeigen sie, dass sie etwas können und sind Teil der Gesellschaft“, beschreibt Martin Sowa die sozialen Mechanismen. Und ergänzt: „Hinter dem Ganzen steckt noch viel viel mehr: Sie sind damit Botschafter in eigener Sache.“
Meisterschaften fallen wegen Corona-Krise aus
Beim alljährlichen Stadtlauf organisiert das TSG-Inklusiv-Team schon seit einiger Zeit das Rahmenprogramm. Im vergangenen Jahr sagte die TSG dann die Ausrichtung der Deutschen Meisterschaften im Fußball für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung zu – aufgrund der Corona-Krise musste dieses aber ausfallen. Dabei hatte die Stadt Reutlingen noch viel größeres im Sinn. Denn die Stadtverwaltung war an die TSG mit der Idee herangetreten, die „Special Olympic Games“ für Baden-Württemberg auszurichten. Nach einer Zeit intensiver Debatten folgte aber die Absage. „Einerseits hat die nötige Infrastruktur gefehlt“, erklärt Sowa, „auf der anderen Seite hätten wir den kompletten Sportbetrieb in Reutlingen und Umgebung für mindestens eine Woche lahmgelegt.“
Mit ihren umfangreichen Erfahrungen ist die TSG also ein guter Partner, um den Inklusionssport in die Region zu tragen. Dies fand auch der Sportkreis Reutlingen, der zusammen mit Martin Sowa und seinen Mitstreitern ein Konzept für den Kreis entwickelte, das in vielen anderen Städten bereits umgesetzt wird.
Einen rasanten Aufstieg erlebt ebenfalls das „Projekt für inklusive Fußball-Förderung“, kurz „Pfiff“. Gemeinsam mit dem VfB Stuttgart werden überall im Lande inklusive Fußball-Stützpunkte aufgebaut. Zum Beispiel in Heilbronn, Ravensburg, Reutlingen, Crailsheim und Ulm. Jeden Dienstag findet ein strukturiertes Training beim VfB statt. „Wir haben schon etwa 700 Menschen integriert“, erzählt Sowa, der bei diesem Projekt auch auf die Unterstützung von TSG-Stützpunkttrainer Kim Laudage zählen kann.
Natürlich bleibt diese vorbildliche Inklusionsarbeit auch außerhalb Reutlingens nicht unbemerkt. Etliche Preise und Auszeichnungen hat die Abteilung für ihre Arbeit schon erhalten. Dies ist jedoch kein Grund, sich auf dem Erreichten auszuruhen. Martin Sowa und seine Mitstreiter sprühen weiter vor Ideen.
Text: Klaus-Eckhard Jost | Fotos: Fritz Neuscheler